Anna Oppermann – Von Künstlerinnenbiografien lernen

Lesarten

Zur Veranstaltung am 29.03.2021
Referentin & Autorin Simone Demandt

„Gurken und Tomaten, Frau sein“

Geboren als Regina Heine 1940 in Eutin, wird das Zeichnen für sie schon früh das Ausdrucksmittel ihrer Gefühle und Beobachtungen. Von 1962 bis 1968 Studium der Grafik und Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und der Philosophie an der Universität Hamburg.

1963 heiratet sie den Hamburger Künstler Wolfgang Oppermann, der Tutor an der Hamburger Akademie ist, nimmt seinem Namen an und zugleich gibt sie sich von nun an den Vornamen „Anna“. 1964 bringt Anna Oppermann ihren Sohn Alexander zur Welt. In den 70-er Jahren trennt sich das Paar. Von 1978 bis zu ihrem Tod 1993 lebt sie mit dem Hamburger Verwaltungsjuristen und Regierungsdirektor Herbert Hossmann zusammen. Er ist ihr dauerhafter, empathischer Unterstützer.

Anna Oppermann gehört noch nicht zu der Generation, die später für sich vehement in Anspruch nehmen wird, wegen Kindern ihren Beruf nicht aufzugeben und sich dem Diktat eines öffentlichen Frauenbilds nicht zu beugen.
Anna Oppermann litt unter der Diskrepanz ihrer Lebensvorstellung und den Erwartungen an sie als Mutter und Ehefrau. Die Erfahrungen der frühen Ehe prägen ihre Sensibilität für gesellschaftlichen Prägungen, Vorurteile und einseitigen Erwartungen.
Ähnlich wie Eva Hesse – beide Künstlerinnen gehören der gleichen Generation an, kennen sich aber nicht –, erfährt sie diese Gespaltenheit körperlich. Während Eva Hesse schwer zu entschlüsselnden, in persönlichen Erfahrungen begründete Objekte schafft und eine direkt erkennbare Verarbeitung ihrer Situation mit Kunst vermeidet, ist Anna Oppermann viel direkter. Beiden Künstlerinnen haben eine starke Wut auf die von Männern dominierte Kunstwelt.

An der Hamburger Kunstakademie studiert sie bei Paul Wunderlich, ist beeindruckt vom Dadaismus und auch von der Malerei Richard Lindners. Schon früh ist ein wiederkehrendes Motiv die Puppe.
Durch die Geburt ihres Sohnes, 1964, ändert sich ihr Leben völlig. Dennoch zeichnet sie in der gemeinsamen Wohnung weiter, wodurch sich so die bevorzugte Verwendung des kleinen Formats entwickelt haben könnte, denn die Formate entsprechen der familienbedingten Arbeitssituation. „Ich baute Stillleben auf, um ein Bild zu machen (wie Maler es seit jeher tun), machte Skizzen, wurde selten fertig mit dem Bild (was als Unvermögen empfunden wurde), machte Fotos von einzelnen Phasen und arrangierte irgendwann alles zusammen, um Stillleben und Übersetzung (in Zeichnung etc.) besser vergleichen zu können.“ Bis 1970 arbeitet sie „im Verborgenen“, dennoch hat sie 1968 eine erste, kleine Einzelausstellung.

Anna Oppermanns künstlerische Entwicklung ist einerseits von räumlichen Bedingungen geprägt – diese macht sie sich klug und überzeugend zunutze –, andererseits auch beeinflusst durch die in den 70-er Jahren aufkommende Konzeptkunst. Es scheint ihr also nicht mehr unmöglich oder mangelhaft, aus einer offenen Materialsammlung ein Ensemblewerk zu entwickeln, das den Ausstellungsraum in Anspruch nimmt und nicht nur dessen Wand. Viele Besucher, vor allem Künstler entdecken die Installation für sich. Längt sind sie nicht so eigen und authentisch wie Anna Oppermann.

Das Verfahren der Collage bzw. Montage von Zeichnungen in Zeichnungen, die Wiederholung von Motiven, die Verquickung mehrere Blickwinkel auf ein und dasselbe Motiv setzt Oppermann in den realen Raum um. Der „Bilderrahmen“ wird negiert zugunsten einer offenen Materialsammlung. Sie vollzieht den Ausstieg aus dem Bild.

1969 kann sie über ein DAAD-Stipendium in Paris arbeiten, wo Ausstellungen von Daniel Spoerri, Rauschenberg und Alan Kaprow sie nachhaltig beeinflussen.

Die Arbeit an der großen Assemblage „Künstler sein (Zeichnen nach der Natur, z.B. Lindenblütenblätter)“, 1969 – 1985, beginnt. Ihr Zeichnen soll nun nicht nur als Abbildungsmethode, sondern als Methode der subjektiven Zeugenschaft und Zeitgenossenschaft gesehen und verstanden werden. Zeichnen ist eine Methode der Selbstvergewisserung, eine Methode, Gedankengebäude zu transferieren und transparent zu machen und somit eine Abkehr vom Naturalismus des 19. Jahrhunderts, der an Akademien in Grundkursen gelehrt wird.

Ihre Themen sind: Mutter als Künstlerin/Künstlerin als Mutter, Ängste vor sozialen Erwartungen, Diskrepanz von Traum und Wirklichkeit, Versagens- und Verlustängste, Angst vor Isolation und Fremdbestimmung, psychische Verfassung.
Ein wiederkehrendes Motiv ist der Spiegel. Er zeigt die Außenwelt, die die Frau beiläufig, gar nicht wahrnimmt, oder auch sehnlichst auf sie schaut.

1972 entstehen die Ensembles „Anders sein (irgendwie ist sie so anders)“, „Frauen wie Engel“, „Gurken und Tomaten, Frau sein“, die sich gegen die ästhetische und gesellschaftliche Auffassung von z. B. Alan Jones richtet, der Frauen als Möbel darstellt. Eine fast nackte weibliche Figur dient ihm als Tischgestell. Auch formuliert sie mit ihren Arbeiten subtile Kapitalismuskritik.
Im selben Jahr wird sie als Besucherin von Rebecca Horn auf die Documenta 5 mitgenommen, wo Oppermann Kontakte knüpfen kann. Im selben Jahr hat sie ihre erste institutionelle Einzelausstellung im Simeonsstift in Trier.
1974 stellt sie mit Boltanski im Haus am Waldsee aus.

Was zeichnet ihre Arbeiten aus, und was bringen sie für künftige Generationen von Künstler*innen in Bewegung:
Hinsichtlich ihrer Malerei und Zeichnung sind es Formatvielfalt, Symmetrie, Starkfarbigkeit, Tiefenraum-Illusion, Ornamentik und Strukturen, persönliche Symbole, kollektive visuelle Schlüsselbilder.
Bezüglich ihrer „Ensembles“ sind es Schichtungen, Staffelung, („Schuppen“), Akkumulation, Raumerfahrung durch Assemblage, Ebenen in den Installationen stehen für Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstufen.
Sampling, Remixen, Visual Mapping, Covern, digitale Bildbibliotheken, subjektive Mythologien und die visuelle Synchronizität unserer Zeit wird von Anna Oppermann unbewusst vorweggenommen.

1977 wird ein sehr erfolgreiches Jahr: Sie wird von Manfred Schneckenburger nach Kassel zur Documenta 6 eingeladen.
Dort zeigt sie das Ensemble „Künstler sein“ 1996-1985. Eine Visualisierung des Konflikts und des Dilemmas zwischen eigener Biografie und „Musterbiografien“ sowohl der Hausfrau als auch der Künstlerin „als Karrierefrau.“ Sie zieht das Spannungsfeld zwischen Persönlichem und Erwartungen von außen auf. Ebenfalls 1977 erhält sie den Edwin-Scharff-Preis der freien Hansestadt Hamburg sowie den Villa-Romana-Preis mit Aufenthalt in Florenz.

Anna Oppermann schafft persönliche Arrangements als Protest gegen die instrumentalisierte Massensymbolik und die instrumentalisierenden Manipulationstechniken, d. h. mit wissenschaftlichen Methoden wie Wiederholungen (in der Zeichnung, dann im Foto der Zeichnung, dann wieder in der Zeichnung), mit Ausdifferenzierung und Ergänzungen.
Es entstehen raumgreifende Wucherungen aus Notaten, Fotografien, Zeichnungen, Fundstücken, Malereien, Zitaten, Dialogfragmenten, Gedankenfetzen, kleinen Ensembles und Gegenständen. Ihre installativen Arbeiten sind komponierte Darstellungen einer persönlichen Weltsicht. Die Arrangements sind wie ein sichtbar gemachter Bewusstseinsstrom und laden den Betrachter dazu ein, selber Assoziationsketten zu bilden.

1980 nimmt sie an der Biennale in Venedig teil. Bei der Vergabe des Förder-Preises „Glockengasse“ 1980 (Unternehmen 4711) zeigt sich ihre anhaltende Wut auf das Kunstsystem. Folgendes sagt sie in ihrer Preisrede: „Lieber wäre mir schon die Förderung von staatlicher Seite: Ankäufe und Anerkennung meiner Arbeiten durch öffentlich Institutionen, Sammlungen … und vernünftige (angemessene) Honorierung der Ausstellungstätigkeit …“ Auch äußert sie, dass zur Selbstgenerierung und zum Selbsterhalt des Kunstsystems ein Künstlerethos gebraucht wird. Anna Oppermann jedoch möchte hinter ihrem Werk verschwinden.

Nach Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste Hamburg in den Jahren 1976 und 1978, lehrt sie von 1982 – 1990 an der bergischen Universität Wuppertal im Studiengang Kommunikationsdesign.

1988 erkrankt Oppermann schwer, nimmt aber an mehreren Diskussionspodien zur Frauenforschung teil und wird ein zweites Mal zur documenta (8) eingeladen, auf der sie die Installation „Pathogenese – MGSMO – Macht Große, Schlagkräftige, Macht demonstrierende Objekte“ (1984 – 1991). Auch diese Arbeit zeigt ihren hohen kulturpolitischen Anspruch und ihre Auffassung, mit Kunst etwas bewegen zu können.

Anna Oppermann stirbt 1993. Ihr Sohn Alexander und die Galerie Barbara Thumm betreuen ihren Nachlass.

Weiterführende Literatur

  • Anna Oppermann, Ausstellungskatalog Ensembles 1968–1992, Hatje Cantz, 2007 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart und in der Generali Foundation Wien
  • Claus Pias, Ausstellungskatalog Anna Oppermann in der Hamburger Kunsthalle, 2004
  • Anna Oppermann: Pathosgeste -MGSMO-. Installation im Altonaer Rathaus, Hamburg; Basel: Edition Lebeer Hossmann, 1991
    http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/oppe.htm
  • Zorn und Zärtlichkeit, 1980, Annalies Klophaus – Ingeborg Lüscher – Annette Messager – Anna Oppermann – Friederike Pezold. Gerhard Zähringer Antiquariat & Galerie, Zürich