Kurzdokumentation: Recherchen im Netzwerk

1. Abend, Mo, 02.11.2020: Bestandsaufnahme

– wer steht wo im November 2020?
– wie ist das Jahr gelaufen?
– wer braucht was / wer hätte was gebraucht?
– für Künstlerinnen / Kulturschaffende mit Familie / ohne Familie

– Einsamkeit und Einzelkämpfer*innentum sind besonders im ersten Lockdown unmittelbar und massiv erfahrbar gewesen
– Ausstellungen sind verschoben worden, je länger sich die Lockdowns und Schließungen hinziehen, desto wahrscheinlicher wird aus „Aufgeschoben“ auch „Aufgehoben“
– kurzfristige Entscheidungen und unklare Kommunikation waren zum Teil dafür verantwortlich, dass auch geöffnete Ausstellungen nicht gut besucht worden sind
– das Publikum war oft sehr defensiv von sich aus, ist zuhause geblieben
– viele Projekte sind ausgefallen, dadurch fehlt die Rückkopplung mit den Rezipient*innen und der Austausch über das eigene Werk
– Finanzierungslücken durch Projekt- / Veranstaltungsabsagen konnten von Küntler*innen kurzfristig ausgeglichen werden
– Coronahilfen haben zunächst nicht gegriffen, da Betriebskosten des Künstler*innenateliers gering und flexibel skalierbar sind und im Ein-Frau-Betrieb oft nicht von den sogenannten privaten Lebenshaltungskosten zu trennen sind
– den Lebensunterhalt nicht von Corona-Hilfen bestreiten zu können, ist existenzielle Lücke in der Hilfe für Soloselbständige, Kulturschaffende, z. B. im Vergleich mit Personen, für die in Kurzarbeiter*innengeld gezahlt wird
– ALG II ist kompliziert und führt zu kontinuierlicher Kontrolle über die Zeit des Leistungsbezugs hinaus! insbesondere für Familien; eigentlich nicht zumutbar > wäre die Lösung ein geregeltes Einkommen zur Grundsicherung?
– während in der gesellschaftlichen Debatte die Solidarität über das Jahr bis zum zweiten Lockdown fehlt, haben einzelne Künstlerinnen viel solidarisches Engagement ihrer Partner*innen und Käufer*innen erlebt
– im Grunde fehlen Instrumente zur Förderung Soloselbständiger, aber es ist offenbar nicht daran gedacht, diese Lücke zu schließen? statt dessen werden die Regeln zur Erklärung der Insolvenz werden ausgesetzt
– finanziell zeichnet sich kein einheitliches Bild ab, etliche Künstlerinnen haben trotz Shutdown im Frühjahr gute Verkäufe erzielt bzw. nicht schlechter als 2019 verkauft
– im Austausch über die eigenen Tätigkeiten in diversen pädagogischen und sozialen Bereichen stellen die Künstlerinnen fest, dass Ungerechtigkeiten und Schieflagen sich durch die Beschränkungen in diesem Jahr erheblich verschärfen, leistungsschwache Schüler*innen fallen weiter zurück, Kinder, die z. B. durch Kunstangebote spezielle Förderung erhalten haben, werden durch digitale Angebote nicht / nur unzureichend erreicht.
– in der eigenen Situation zeichnen sich oft Doppelbelastungen ab, durch Familien- und Pflegeaufgaben, durch Partnerschaften, in denen beide selbständig und womöglich beide kulturschaffend arbeiten, durch das „Erfinden“ neuer Tätigkeitsfelder unter verschärften Hygienebedingungen.
– die Selbstreflexion als Infektionsgefahr für anfällige Personen im eigenen Umfeld ist insbesondere für Personen, die Aufgaben in der erweiterten Familie – in verschiedenen Haushalten – übernehmen, eine schmerzliche Abwägung, gerade weil im Care-Bereich unter Corona-Bedingungen im Vergleich mit dem bisherigen Alltag existenzielle Einschnitte nötig erschienen sind (Stichwort: Einkauf möglichst kontaktlos vor die Tür stellen). Inzwischen haben viele Hochbetagte die persönliche Beziehungspflege von sich aus trotz Infektionsgefahr wieder eingefordert.
– die Sinnhaftigkeit des eigenene Kunstschaffens war in diesem Jahr bei einigen auf dem Prüfstand, durchaus auch mit dem Blick auf die Kunst als verkäufliches Luxusgut
– Sinnhaftigkeit ist demgegenüber oft in pädagogischen Aufgaben oder kunstvermittelnden Kontexten erlebt worden, auch im Hinblick auf freie Meinungsbildung, Demokratieentwicklung
– umgekehrt liegt im plötzlichen und ersatzlosen Aussetzen der Ausstellungs- und der pädagogischen/schulischen Aktivitäten eine große Frage an die Einschätzung und Wertschätzung durch ∑„die Gesellschaft“ / „die Politik“
– Ruhe im Frühjahr hat Möglichkeiten für konzentriertes Arbeiten geboten
– Nachdenken über Dinge, die man weglassen möchte, war möglich
– Künstler*innen konnten sich schnell darauf einstellen, kreative Formate für Unterricht und Homeschooling unter Beschränkungen zu erfinden und digitales Arbeiten einzubeziehen

2. Abend, Mo, 09.11.2020: Künstlerinnen in der öffentlichen Wahrnehmung

– Handlungsfelder und Spielräume zeitgenössischer Künstlerinnen – Wahrnehmung von Kolleginnen
– akut: Anfragen und Aufgaben im Jahr 2020
– Ausstellungen und Projekte im öffentlichen Raum / im Freien haben gute Resonanz gefunden
– dankbares Publikum, guter Austausch
– andererseis auch: um sich selbst besorgtes Publikum
– kleine Veranstaltungen, oder Gelegenheiten zur Begegnung haben gut funktioniert, das Atelier als Ort für überschaubare Gruppen hat Zuspruch bekommen
– Bildende Kunst und Musik haben „partnerschaftlich“ gut funktioniert, Hofkonzerte / Atelierkonzerte
– Musiker*innen haben Bildende Künstler*innen angefragt
– Austausch mit Musiker*innen bzw. anderen Kunstsparten war inspirierend, viele „bodenständige“ Initiativen
– Solidarität von festangestellten mit freien Künstler*innen
– Arbeitsstipendien und Projektstipendien des Landes haben an vielen Stellen unmittelbar geholfen, es braucht nicht viel, damit Künstler*innen arbeitsfähig sind
– kollegiale Kontakte vor Ort oder in der näheren Umgebung sind „interessanter“ geworden
– das bestehende Netzwerk ist aktiviert worden
– politisches Interesse an persönlichem Austausch mit Künstlern und Veranstaltern, in Koblenz wurden mehrfach Kulturschaffende im Kulturausschuss befragt (aber ist extrem zäh)
– Ankauf von Bildern aus dem Atelier durch persönliche Kontakte / Solidarität
– persönliche Kontakte in kleinen Formaten genutzt, auch interdisziplinär
– vieles im Internet entdeckt, aber auch da ist Zeit kostbar
– ark (www.ark-rlp.de) erstellt eine online Galerie zum Verkauf von Arbeiten, läuft aber kaum

3. Abend, Mo, 16.11.2020: Was ist 2020 in der Kunst gelaufen? Was haben die Künstlerinnen im Jahr 2020 gemacht?

– Sommerpause gut genutzt, Auslandsaufenthalt mit einer Kolleg*innengruppe
besonders guter, intensiver Austausch, besondere Wertschätzung für gemeinsame Aktivitäten
– Gruppenausstellung, die schon mehrfach stattgefunden hat, war enttäuschend, weil der Austausch zu kurz gekommen ist, aufgrund von Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen
– der eigene online-Auftritt ist aufpoliert worden, Erkenntnis des Jahres: es erfordert viel Zeit, in den sozialen Medien präsent und wahrnehmbar zu sein, das Ergebnis ist nicht eindeutig, es fehlt dann wieder die Zeit im Atelier
– digitale Angebote für Publikum: oft eintönig, langweilig und nervig; ungeeignet um drei- oder mehrdimensionale Erlebnisse zu vermitteln, Videoformate oft erschöpfend und langatmig
gut konzipierte Videoformate, Interviews und Ausstellungsansichten können aber auch Lust auf Ausstellungsbesuch machen
– Kunstkurse für Kinder / Jugendliche sind digital durchgeführt oft als unbefriedigend erlebt worden
– Ausstellungen mit Einbahnstraßen-Systemen im individuellen Tempo zu begehen ist besser angekommen, als die BesucherInnen in kleinen Gruppen durchzuführen.
– es gilt, einen erhöhten organisatorischen und personellen Aufwand zu leisten, sowie Gelassenheit, Verständnis und Flexibilität mitzubringen, von beiden Seiten
– analoge Ausstellungen waren dennoch gut besucht: Solidarität, Sehnsucht nach Kultur

4. Abend, Mo, 23.11.2020: Ausblick bei eingeschränkter Sicht

Im Rückblick auf die drei vorangegangenen Montagabende sowie im individuellen Rückblick auf die pandemiebedingten Einschränkungen und Veränderungen fällt übereinstimmend auf, dass die Künstlerinnen trotz einiger Tiefen und Motivationslöcher im Jahreslauf überzeugt davon sind, dass die Kunst auch oder gerade in Krisenzeiten wie in diesem Jahr etwas beitragen kann und dass sie selbst auch etwas beitragen wollen.
Zum Einstieg also gleich der Konsens: selbstverständlich machen wir weiter mit der Kunst und selbstverständlich suchen wir trotz Einschränkungen nach sinnvollen Möglichkeiten, die Kunst im Jahr 2021 zur Geltung zu bringen.
Sogleich auch die Anmerkungen: digital ist nicht alles, es geht darum, die Möglichkeiten digitaler Veranstaltungen und Präsentationen sinnvoll zu nutzen, aber auch die Begegnungen „mit dem Original“ (= Mensch und Kunst) risikolos zu gestalten und „zünden zu lassen“.
Die folgende Sammlung von im Jahr 2020 erlebten Qualitäten und Möglichkeiten sowie offenen Wünschen für die nächste Zukunft spiegelt einzelne Aspekte und Erlebnisse und darf sehr gern ergänzt werden:
– der Austausch mit Kolleg*innen oder anderen Personen im Umfeld ist besonders fruchtbar erlebt worden, Menschen waren offener als sonst, ehrlicher in Bezug auf Tiefpunkte und Misserfolge
– Ausstellungen werden vorbereitet, immer mit dem Hintergedanken: was, wenn es geschlossen wird – Ausstellungen der AKM werden zum Teil mit einem audioguide erweitert (über einen qr-code/handy)
– Austausch über zoom ist weiterhin gewünscht, als zusätzliche Möglichkeit
– ortsgebunden denken, wie mache ich Kunst vor der Haustür? wie verortet bin ich? wie verbunden? und reicht mir das?
– sich Einmischen in das politische Leben ist gerade jetzt wichtig
– die verschiedenen Formate für Schaufensterausstellungen und Hinterhofkonzerte und viele andere waren charmant für Akteur*innen und Gäste, anregend, Leichtigkeit war spürbar, machmal auch Solidarität (z.B. festangestellte Orchestermusiker mit den freischaffenden Künslter*innen)
– es ist als Privileg erlebt worden, „aus dem eigenen Inneren zu schaffen“ und auch ins eigene Atelier als einem persönlich geprägten Arbeitsort einladen zu können und mit unterschiedlichen Gästen unbeschwerte Momente zu schaffen und zu erleben
– es ist wichtig, auch / besonders in Krisenzeiten, aktiv zu kommunizieren, sich nicht das Ruder aus der Hand nehmen lassen
– das Privileg der Kreativität auch im Umgang mit den Schwierigkeiten der aktuellen Situation nutzen
– die kollektive Erfahrung hat viel Gemeinsamkeit hervorgebracht
– Verbundenheit war erlebbar
– plötzlich nicht verplant zu sein, hat viel Spontaneität frei gesetzt und möglich gemacht
– digitale Mittel für Begegnungen, Veranstaltungen und Kunstvermittlung nutzen, visuelle Medien erreichen das Publikum ohne zuviele Worte
– „Art Café“ einmal im Monat, weitere Treffen im Netzwerk
– nicht auf das haptische Erleben, das 3D-Erlebnis verzichten
– viel Zeit im Atelier war sehr fruchtbar, Ruhe für intensives Arbeiten, kostbare Atelierzeiten
– kleinere Formate, Begegnungen, intimere Qualität mitnehmen in die Zukunft
– größere Bewusstheit und Klarheit, Fokussiertheit trotz / wegen der Krise
– Intensität im Atelier fühlt sich an wie „Luftrudern“ – einerseits leicht, andererseits ein bisschen absurd / losgelöst
– gesteigerte Aufmerksamkeit, gesteigerte Sensibilität
– Hoffnung auf verbindliche Zusagen, das „immer-wieder-weiterschieben“ von Terminen / Ausstellungen wird als zermürbend empfunden
– Bedürfnis, unter die Leute zu kommen, als Mensch, als Künstlerin, mit der Kunst
– die Inspiration durch das ungefilterte Leben, ungefilterte Begegnungen soll nicht mehr lange fehlen
– Umarmungen, körperliche Nähe soll sich wieder einstellen
– ungezwungen mit Leuten zu reden, ist auch eine Basis für künstlerische Arbeit
– die Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen und Umständen kann eingeübt werden
– Wertschätzung der eigenen Ressourcen ist spürbar geworden
– die eigene Vorstellung und selbst geplante Recherchen erschließen Energie und geben Weite
– eine kleine perspektische Drehung: wie kann es denn außerdem noch gehen?
– statt „offenes Atelier“: Zeitfenster „eine Stunde mit der Künstlerin“, Begegnung wird wichtiger und begehrter
– Führung online und offline durch die Ausstellung, kleine Gruppen, einzelne Personen
– Verortung am Ausstellungsort: was brauchen die Menschen? was brauchen die Menschen hier? von innen nach außen denken, sich annähern und begegnen
– durch die digitalen Plattformen: größere gesellschaftliche Vernetzung der Künstlerinnen und der Kunst mit bisher unbekannten Zielgruppen oder Personen, eine bessere Verortung als deutsche bildende Künstlerin
– Austausch über die Erfahrungen im Jahr 2020 hat die Möglichkeiten gemeinsamer künstlerischer Arbeit sichtbar gemacht
– eingeschränkte Möglichkeiten – mehr Leben und Kontakt in den möglichen Begegnungen
– Ruhe für die manchmal überhitzte / überdrehte Kunstszene, nur wenige Künstler*innen getroffen, Eindruck von Besinnung
– den Augenblick und die Situation würdigen, dazu ist Langsamkeit hilfreich
– vieles hat sich angefühlt wie „aus dem Gleis gesprungen“, nicht abdrehen sondern neue Wege suchen
– Gemeinsamkeit existenziell verstehen und suchen – Abgrenzungen helfen nicht weiter, sich auch künstlerisch annähern insbesondere unter den Fokussierungen
* Qualität
* Aussage
* Intensität
* Stringenz