Maria Lassnig – Von Künstlerinnenbiografien lernen

Lesarten

Zur Veranstaltung am 20.09.2021
Referentin & Autorin Simone Demandt

„Ich scheiße auf die Mitwelt wie auf die Nachwelt. Bevor ich sterbe, möchte ich noch Zeit haben, alles zu vernichten, was ich machte, und in allen Museen meine Sachen zerstören.“

1919 in Kärnten geboren wächst Maria Lassnig zunächst bei der Großmutter auf. Die Mutter ist alleinerziehend und überfordert. Der Mangel an Zuwendung, insbesondere körperlicher Zuwendung durch die Mutter, wird mit als Grund für ihre Körperbilder genannt. Das Zeichnen führt das Kind Maria Lassnig in eine andere Welt, in eine beglückende Rückzugswelt. Zeichnen ist offenbar auch Notwehr gegen die Gleichgültigkeit der Großmutter und gegen den Zynismus ihrer überforderten Mutter.
Allerdings wird ihre zeichnerische Begabung wahrgenommen. Ab dem sechsten Lebensjahr bekommt sie Zeichenunterricht.
Der spätere Mann ihrer Mutter, Lassnig, wird sie immer finanziell unterstützen. Maria Lassnig fühlt sich dennoch verlassen und unerwünscht. Obwohl ihre Mutter ihr gegenüber gleichgültig und sarkastisch ist, bleibt sie die bewunderte, geliebte Bezugsperson, bis zu ihrem Tod 1964. Als schüchternes Kind wird Maria in der Schule gehänselt, Sozialkontakte ist sie nicht gewohnt.

Parallel zu ihrer Ausbildung zur Volksschullehrerin 1939 – 1941 schließt sich Lassnig mit 17 Jahren den Wandervögeln an und kommt mit politisch rechten Haltungen in Berührung. Sie kann sich dem nicht verschließen, wird aber immer diesen Zusammenhang leugnen. Es ist nicht die einzige Legendenbildung, auch der von ihr kolportierte Rausschmiss aus der Wiener Akademie ist erfunden.

Im Studium an der Akademie der Künste Wien nimmt man sie und ihre Arbeiten nicht ernst. Ihre vom „Kärntner Kolorismus“ geprägte starkfarbige Malweise stößt auf Unverständnis. Dennoch beginnt sie mit der Entwicklung ihres subjektiven Farbsehens. „Ich musste lernen, dass es von mir anhängt, wie die Farbe aussieht; es gibt nicht die Farbe. Ich habe die Relativität der Farbe kennengelernt.“

1945, nach ihrem Diplom, kehrt sie nach Kärnten zurück und entfacht mit einem starkfarbigen männlichen Akt einen Skandal. Maria Lassnig ist nicht besonders kritikempfänglich, empfindet Kritik als persönliche Zurückweisung. Im selben Jahr lernt sie den Künstler Arnulf Rainer kennen, sie sind bis 1953 ein Paar. Maria Lassnig hat das Gefühl, dass Liebe sie an der Kunst hindert: „Kinder und Malerei, das wäre unmöglich gewesen, … weil ich immer alles perfekt machen will.“ Lassnig wird nie heiraten. Arnulf Rainer entpuppt sich für Lassnig als Macho und weniger als Partner. Rainer weiß, wie man sich auf dem Parkett der Galerien und Museen bewegen muss, Lassnig nicht. Krisen und Kritik fordern ihre Angriffslust, ihre Aggression und Autoaggression, ihr Misstrauen, ihre Selbstzweifel heraus: In ihrem bedingungslosen Selbstbezug wird sie unsachlich und verletzend.

Ab 1948 haben der orphische Kubismus (Robert Delaunay) und Surrealismus starken Einfluss darauf, wie sie körperliche Verfasstheit und Empfindungen in Malerei umsetzen kann. Auch aus dem Gefühl heraus, hässlich zu sein, entstehen erste „deformierte“ und fragmentarische Porträts, die auch in Anlehnung an van Gogh, starkfarbig und gestisch ausgearbeitet sind.

Maria Lassnig stellt dem Realismus des Sichtbaren das Reale der körpereigenen Wahrnehmung gegenüber: Noch ist ihre Arbeit von einer Abbildhaftigkeit bestimmt.
Die Zeichnungen ermöglichen ihr einen ersten autonomen und verborgenen Schritt in die Transformation von inneren Körperbildern in bildliche Darstellung.
Dieser Findungsprozess wird sie immer wieder verunsichern.

Maria Lassnig hat offenbar leicht autistische Züge und ein Farbsehen, was dem des absoluten Gehörs eines Musikers gleichkommt. Es gibt auch Vermutungen über Synästhesie bei ihr, d. h. Körperwahrnehmungen, Klänge, Gerüche, Buchstaben und Zahlen werden durch andere Sinneswahrnehmungen begleitet und kommentiert.

1951 zieht sie endgültig nach Wien, erhält ein Stipendium für Paris und lernt dort das Informell in Pariser Galerien kennen. Sie wird angeregt durch Literatur und Kunsttheorie, z.B. durch Gustaf Britsch. Er betrachtet die Kunst als geistige Leistungen, mit der das Gesehene (und Gefühlte) nicht in Begriffe, sondern unmittelbar in Bilder umgesetzt wird. So entsteht ihr Selbstporträt als Zitrone.
André Breton, Paul Celan werden zu guten Bekannten …

Auch der Surrealismus hilft ihr, Methoden und Formen der Transformation von Gefühl zum Bild zu finden. Und das Informel, das das Bild erneut vom Gegenständlichen befreit, prägt sie, indem es das Gefühl mittels Geste ins Bild bringt wie z. B. Jackson Pollock, de Kooning oder Mathieu. Das Gegenständliche galt 1951 immer noch als ideologisch infiziert. Es entstehen großformatige informelle Malereien, die bildfüllend in dunklen, gedeckten Farben eine große Präsenz ausstrahlen. Lassnigs Bilder bekommen nun eigentümliche Titel.

1952 reist sie ein zweites Mal nach Paris: Aus den Einflüssen von Surrealismus und Informell ergibt sich für Maria Lassnig langsam die Ebene, aus der heraus sie ihre Transformationen der Körperwahrnehmungen in Bilder auch vor sich legitimieren kann. Sie bekommt einen Zugang zur Symbolik und Metaphorik für ihre Bilder, die Verbildlichung von direktem Körperempfinden sein sollen.

In Paris bleibt Lassnig fast die gesamten 60-Jahre und lebt in eiserner Sparsamkeit und zeigt einen unangenehmen Geiz. Ihre große Konkurrentin ist die – aus Lassnigs Sicht – charmante, umgängliche und hübsche österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik. Einem hilfreichen Zusammenhalt von Künstlerinnen steht sie skeptisch gegenüber. Sie will nichts mit Frauenkunst zu tun haben, denn diese empfindet sie als Diskriminierung.

Maria Lassnig ist auch das alltägliche, banalen Leben suspekt. So ist der Tod der Mutter 1964 ein großer Schock für sie, da sie nun nicht mehr auf eine buchhalterische Unterstützung hoffen kann, sondern alles selber organisieren muss. Maria Lassnig hat keine „Marke“ geschaffen wie Arnulf Rainer. Sie hatte überhaupt keine Strategie, denn ihre Mutter hielt für sie auch die Kontakte zu den Sammlern und Institutionen. „Ich war nie sehr schlau und clever beim Ausstellen. Ich habe immer alles hineingeschmissen in die Kunsthallen, das darf man nicht. Man muss erst alle roten Krawatten ausstellen und dann die grünen.“ (Anspielung auf den wachsenden Erfolg des Kollegen und Freunds Arnulf Rainer.)

1968 – 1980 New York: Hier entstehen, verfremdete Selbstporträts, Stillleben, die eine Gegenüberstellung von Außenwelt mit ihrer physischer Empfindungswelt formulieren. Ihre Malerei wird zwar farbiger aber zunehmend fragmentarischer, zerklüfteter und fremdartig. Frauenköpfe in polymorphen Formen, wenig Tiefenraum. Ihre Bilder passen zu keinem Trend. Ihre subjektiven Mythologien sind dem Publikum unheimlich und rätselhaft. Ihre solitäre Kunst ist aber grundehrlich.
Lassnigs Ziel ist es, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen. „Das Knie kann zu prickeln beginnen, der Rücken wird eine vibrierende Fläche, die Niere eine heiße Hölle, die Beine zu Schrauben.“ (Synästhesie) Sie geht von einem kleinen physischen Gefühl aus, einer Druckstelle am Körper, eigenem Kribbeln, einer als abweichend empfundene Körpertemperatur …

1980 wird Maria Lassnig zur Professorin für Malerei an die Hochschule für angewandte Kunst nach Wien berufen. Die Lehre hilft ihr, sich materiell zu konsolidieren, aber sie lebt weiter spartanisch und extravagant sparsam. Im selben Jahr vertritt sie gemeinsam mit Valie Export Österreich auf der Biennale in Venedig.

Die Karriere nimmt zwar ganz langsam an Fahrt auf, aber sie fühlt sich unterschätzt bis zu ihrem Tod, trotz hervorragender Kritiken und treuer Anhänger. Ihre internationale Karriere setzt auffallend spät ein. Zum einen liegt es an den patriarchalen Strukturen im Kunstbetrieb. Aber trotz einer großen Sehnsucht nach Anerkennung, hintertreibt sie diese paradoxerweise immer wieder, wenn sie z.B. sagt, „es gibt nur zwei Sorten Galeristen, die, die mich betrogen haben, und die, die mich betrügen werden.“

Und so steht sie sich mit ihrem Misstrauen und ihrer Unfähigkeit, Vertrauen in eine Freundschaft zu haben selbst im Weg. Sie wittert immer Unehrlichkeit und Verrat ihr gegenüber. Es steht zu befürchten, dass sie sich vor dem Erfolg fürchtete, dass er sie zerdrücken würde. „Die Galeristen, bessere Kunsthändler sind Leichenfledderer; nein, bei lebendigem Leib ziehen sie einem die Haut ab, nehmen einem die Gedärme raus, ohne zu wissen, wen sie vor sich haben. Verbrecher!“

1982 nimmt sie an der Documenta 7 teil.

Bemerkenswert ist ihre Haltung zum Verkauf ihrer Bilder, denn ihre Bilder sind „ihre Kinder“ und sie will sie nicht hergeben, weder an Sammler noch an Galeristen, noch an Museen. Sie fürchtet, wenn sie ihre Bilder herausgibt, bekommt sie sie nie wieder. Die von ihr selbst erkannten Paranoia wird zunehmend für andere schwierig. Aber sie hat treue Anhänger, die nach Absagen nicht aufgeben, ihre Bilder ausstellen zu wollen.

1992 dreht sie den anrührenden, humorvollen Film über ihr Leben mit dem Titel „Kantate“, 1995 nimmt sie erneut an der Biennale von Venedig teil, beendet 1997 ihre Lehrtätigkeit, im selben Jahr nimmt sie an der documenta X teil.

In den 2000er Jahren ist das Interesse an ihren Arbeiten sehr groß, dennoch findet sie Sammler, Museen, Galeristen ihrer Arbeiten unwürdig: So wird ein Ankauf zu einem bizarren Theaterstück. Sie misstraut jedem und sie hat Angst, jemand könnte ihr die Ideen klauen. „Wenn jemand mich bedrängt und ein Werk von mir haben will, fühle ich mich nicht mächtig, sondern klein und nichtswürdig, als ob sie mich überschätzend ein falsches überdimensionales Bild von mir hätten“.

Obwohl Kuratoren wie Peter Pakesch, Hans Ulrich Obrist, Robert Fleck, Iwan Wirtz ihre Arbeiten ausstellen wollen, glaubt sie nicht, dass ihre Malerei einen Platz im aktuellen Kunstgeschehen haben könnte. Nur zu wenigen wie z. B. zu einem ehemaligen Studenten hat sie Vertrauen, aber auch ihn wird sie später  rausschmeißen.

2001 gründet Maria Lassnig eine Stiftung. 2003 nimmt sie an der Biennale in Beijing teil, 2005 gestaltet sie den Vorhang für die Wiener Staatsoper.

2009 bildet eine Zäsur in Maria Lassnigs Leben. Sie stürzt und wird behaupten, sie sei gestoßen worden. Das Annehmen der eigenen Verletzlichkeit, der Hinfälligkeit ist für sie schwer zu ertragen. Das Alter ist für Maria Lassnig deprimierend und beschwerlich, es verläuft für sie immer an der „Grenze zum Suizid“. „Ich werde sterben, ohne mich entdeckt zu haben“.

Im Mai 2014 stirbt Mara Lassnig.

Seit 2017 wird alle zwei Jahre der Maria Lassnig Preis mit 50.000 Euro ausgelobt. Er wird von einer Einzelausstellung des Preisträgers oder der Preisträgerin begleitet, die von einer mit der Maria Lassnig Stiftung kooperierenden Institution ausgerichtet wird.

Alle Zitate soweit nicht anders bezeichnet stammen von Maria Lassnig, zitiert aus der Biografie von Natalie Lettner.

Weiterführende Literatur & Materialien

  • Kantate, Film, ca. 8 Minuten, von Maria Lassnig & Hubert Sielecki, 1992, Link zu Youtube
  • Natalie Lettner, Maria Lassnig, Die Biografie, Brandstätter, 2019
  • Über die Kopfheiten, Zu den Strichbildern, Neuere Bilder, Biographie. Monographie zur Ausstellung im Museum Moderner Kunst Wien, Ritter, Klagenfurt, 1985
  • Maria Lassnig. Der Ort der Bilder, in der Halle für Aktuelle Kunst der Deichtorhallen, Hamburg, 2013
  • Maria Lassnig. Das filmische Werk. Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko, Synema, Wien, 2021