Mitgemeint oder vergessen?

Wie wir über Frauen sprechen

Die immer wieder recht aufgeregte Diskussion über das Gendersternchen und die Sprechlücke haben wir zum Anlass genommen, noch einmal genau hinzuschauen. Empfohlen wurde uns, bei Prof.in Damaris Nübling nachzufragen. Die Linguistin, seit vielen Jahren Professorin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, hat im Jahr 2018 gemeinsam mit ihrer Kollegin Helga Kotthoff ein genderlinguistisches Standardwerk, das erste für die deutsche Sprache, herausgegeben.

Die Titelfrage unserer Veranstaltung „Mitgemeint oder vergessen?“ wird durch die vielfältigen Belege der empirischen Sprachwissenschaft beeindruckend eindeutig beantwortet: sowohl männliche wie weibliche Versuchspersonen denken überwiegend an männliche Personen, wenn von einem „Apotheker“, „Arzt“ oder „Politiker“ die Rede ist. Der Umkehrschluss für uns ist einfach: Wenn Künstlerinnen sich darauf verlassen, dass sie bei der Verwendung männlicher grammatischer Formen in ihrem Berufsfeld mitgemeint sind, werden sie allzu leicht vergessen. Die Positionierung einer Künstlerin als Kompetenzträgerin und als künstlerische Autorität ist durch „mitgemeint“ zumindest erschwert.

Historisch lässt sich für die Entwicklung der deutschen Sprache eine
Rangordnung der grammatischen Geschlechter, vom Maskulinum über das mittelprächtige Femininum bis zum niederen Neutrum sowie eine Überordnung des Mannes über die Frau belegen, die ein Effekt der gesellschaftlichen Geschlechterordnung ist. In knapper Zusammenfassung: Männer beleidigt man mit weiblichen Schimpfworten, Frauen werden im Neutrum herabgesetzt. Jahrhundertelang war die Gesellschaft geprägt durch eine Ständeordnung die ganz unterschiedliche Privilegien verleihen konnte, immer jedoch die Frauen eines Standes den Männern desselben Standes untergeordnet hat. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen mit Männern ist in der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist 1977 erreicht worden (mit der Änderung des Ehe- und Familienrechts, unter anderem dürfen Frauen seither selbständig und ohne Zustimmung des Ehemannes ein Arbeitsverhältnis aufnehmen).

Sprachhistorisch ist dieser Zeitraum, in dem sich die Bemühungen um eine geschlechtergerechte Sprache vehement bemerkbar machen, als kurz anzusehen, der Sprachwandel bringt viele Varianten und mehr oder minder praktikable Lösungen hervor. Gemeinsamer Nenner ist die Vermeidung maskuliner Formen im Singular, danach wird es bunt, in den Augen mancher wird es auch zu bunt getrieben. Die Sprachwissenschaft bleibt – im Großen und Ganzen – gelassen. Die Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling sagt: „Es gibt keine Institution, die „richtiges“ Sprechen vorschreibt – und die Orthographie gilt nur für Schulen und Behörden.“ Sie macht auf die Presseerklärung der dpa „Nachrichtenagenturen wollen diskriminierungssensibler berichten“ aufmerksam, die die aktuelle Vereinbarung der deutschen Presseagenturen erläutert: „Ein sehr wichtiger und großer Schritt, der im Juni 2021 begangen wurde.“

Dem inspirierenden und engagierten Vortrag entsprechend sind die Publikationen von Prof. Damaris Nübling zum Thema selbstverständlich lesenswert, darüber hinaus äußerst gut lesbar, eine kleine Linksammlung für Interessierte:

Genus und Sexus, Zum Zusammenhang von grammatischer, biologischer und sozialer Kategorisierung, Akademie der Wissenschaften und der Literatur 2020.
Und ob das Genus mit dem Sexus, Genus verweist nicht nur auf Geschlecht sondern auch auf die Geschlechterordnung, Sprachreport 2018.
Tiernamen als Spiegel der Tier-Mensch-Beziehung, Ein erster Blick in die Zoonomastik, Sprachreport 2015.

Wir fühlen uns ermutigt, ernsthaft und mit aller kreativen Kraft, die wir in unseren Sprachgebrauch legen können, Frauen, Künstlerinnen sichtbar zu machen und dabei Personen, die sich anderen Geschlechtsidentitäten zugehörig fühlen, nicht zu diskriminieren oder auszuschließen.

Aus Projektpraxis und Vorgeschichte

Immer wieder merken wir – sowohl beim Schreiben über das Projekt, beim Ankündigen von Austellungen, aber auch beim Sprechen miteinander und mit anderen Personen – wie schwierig es ist, Frauen als Künstlerinnen in ihrer Kompetenz selbstverständlich darzustellen. Wo sich nun schon in aller Selbstverständlichkeit und aller Öffentlichkeit viele Künstlerinnen im Berufsfeld tummeln, liegt die Idee nah, der sprachliche Ausdruck sei vernachlässigbar – die Realität wird es schon richten?

Doch inmitten der Gemengelage eines breiten gesellschaftlichen Rollbacks der Geschlechterrollen, der viel beschriebenen „gläsernen Decken“, die auch Bildende Künstlerinnen im Lauf ihres Lebens- und Berufswegs selbst im freien Feld der Bildenden Kunst bis ins Jahr 2021 hinein immer wieder feststellen, möchten wir jedem Hinweis auf einen wirksamen Veränderungsmoment nachgehen. Und dass die Sprache ein wirkmächtiges Gestaltungsmittel unseres menschlichen Bewusstseins ist, insbesondere im Austausch und Zusammenleben mit anderen, ist immerhin auch ein tief verankertes Gemeingut unserer Kulturgemeinschaft, in Religion, Bildung, Therapie und vielen anderen Lebensbereichen durch realitätsbildende oder -verändernde Praxis manifestiert und durch begleitende Evaluation und sprachwissenschaftliche Forschung vielfach dokumentiert.

Da wollen auch wir gern unseren Beitrag leisten, in der Diskussion, im Erzählen und Schreiben uns gegenseitig ermächtigen, so kraftvoll bunt und vielfältig wie möglich zu sprechen, um künstlerische Kompetenz und Autorität profiliert zu positionieren. Sich im Spielfeld tummeln, reicht nicht.