„Meine Kunst – deine Kunst“

Künstlerinnen als Vermittlerinnen der eigenen Kunst im Fachdiskurs

Beitrag zur Reihe „Kunstpraxis: Über Kunst sprechen“ von Dr. Nicole Nieraad-Schalke, Kulturwissenschaftlerin, „Kultur muss knistern“, Ingelheim

Für Künstler*innen kann es bisweilen nützlich sein, sich in die Perspektive derjenigen Person hineinzuversetzen, die die Ehre hat, den Einführungsvortrag bei einer Vernissage oder Finissage zu halten.

Wer spricht? Über den/die Laudator*in

Der/die Laudator*in hat zumeist Kunstgeschichte studiert, kann jedoch auch selbst aktiver Kunstschaffender sein oder aus anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen (Kultur-/Literaturwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Philosophie, Psychologie o. a.) stammen. Eine persönliche Nähe und Zuneigung zur Kunst kann vorausgesetzt werden, Empathie und Sensibilität sind darüber hinaus äußerst wünschenswert.

Der Kontakt zu dem/der Laudator*in ist essentieller Teil der ohnehin intensiven Ausstellungsvorbereitung. Nicht selten ist der/die Laudator*in neben den Kuratoren die Person, die Ihre Ausstellung in ihrem werdenden und fertigen Zustand begleitet.

Nutzen Sie den/die Laudator*in!

Betrachten Sie den/die Laudator*in als Medium, über das Sie in den Dialog mit den Besucher*innen treten können! Manchen Kunstschaffenden fällt es zuweilen schwer, sich selbst und die eigenen Arbeiten vor einer großen Gruppe verbal zu präsentieren. Dies nimmt Ihnen der/die Laudator*in bequem ab – wenn Sie diese Beziehung richtig nutzen!
Sofern von Ihnen gewünscht, kann der Aufbau einer Vertrauensbeziehung daher von großem Vorteil sein. Denn je näher Sie den/die Laudator*in in Ihre individuelle Gedankenwelt hineinlassen, umso eher ist er/sie wiederum in der Lage, diese Gedanken zu bündeln, einen roten Faden herausarbeiten und diesen in einer Rede zu transportieren, um schlussendlich möglichst viele Zuhörende in Ihre persönliche Gedankenwelt einzuladen.

Was interessiert den/die Laudator*in an mir?

Die meisten Vernissage-Besucher*innen, aber Kunstsammler*innen und Galerist*innen sind davon überzeugt, dass eine Kohärenz von Person und Werk existiert: Kunst gibt es nicht ohne den/die Künstler*in. Daher geht der/die Laudator*in zu Beginn des Kennlernprozesses oft zunächst von einigen Voraussetzungen aus, die sein/ihr Interesse an Ihnen leiten:
Jeder Mensch – also auch Sie – ist eingebettet in einen kulturellen, sozialen, psychologischen und zeitlichen Kontext.
Jeder Mensch – also auch Sie – besitzt viele unterschiedliche, z.T. sich widersprechende Identitäten: Geschlecht, Alter, Herkunft, Ausbildung, Biografie…
Jedes kulturelle Phänomen – also auch Ihre konkrete Kunst – drückt etwas davon aus.

Welche Informationen möchte ich dem/der Laudator*in geben?

Im Idealfall findet das Kennenlernen in Ihrem Atelier statt. Sofern dies nicht möglich ist, wäre es dennoch sinnvoll, zumindest einige Originalarbeiten präsentieren zu können. Viele Laudator*innen haben sich mit Ihrer Arbeit (vergangene Ausstellungen, Preise etc.) bereits beschäftigt und daher oft erste Einstiegsfragen vorbereitetet. Diese sind wahrscheinlich zunächst eher allgemein und betreffen z.B. den Ausstellungstitel oder den Reiz am Thema. Konkretere Fragen zielen eher auf Farbgebung, spezielle Motiviken und Interpretationsansätze. Hier liegt es auch an Ihnen, zu erspüren, welche – und vor allem, wie viele konkrete – Informationen Sie dem/der Laudator*in geben möchten.

Schöpferischer Prozess auf beiden Seiten

Sofern die persönlichen Voraussetzungen stimmen, kann auf das erste Kennenlernen eine intensive Zusammenarbeit folgen. Ein schöpferisch-kreativer Prozess findet hier auf beiden Seiten statt: Während Sie mit dem/der Laudator*in Ihr künstlerisches Werk/Ihre Gedanken teilen, teilt er/sie mit Ihnen seine/ihre schriftstellerische Arbeit. Eine respekt- und vertrauensvolle Beziehung auf Augenhöhe ist dabei von großem Vorteil.

Warum ist es so schwierig, über Kunst zu reden?

Wie jede andere Fachsprache (Ärzte-, Juristen-, Beamten-, Handwerkerdeutsch…) besitzt auch die Kunstgeschichte/-wissenschaft zu Recht ein eigenes Fachvokabular. Hinzu kommt, dass (gesprochene und geschriebene) Texte über Kunst oft deshalb so schwer verständlich sind, weil sie die Offenheit der Kunst stilistisch imitieren. Ferner wollen sich Kunstexperten natürlich nicht vorwerfen lassen, sie hätten eine Arbeit falsch interpretiert, so dass sie sich nicht selten hinter vagen Metaphern verstecken. Dies ist nachvollziehbar, führt jedoch im schlimmsten Fall zu „glitzerndem Sprachlametta“, also intellektuell anmutenden, aber sinnfreien Phrasen.

Warum ist es so schwierig, Reden über Kunst zuzuhören?

Wenn Aussagen vage und sinnfrei bleiben, sich jedoch in philosophisch-intellektuelle Formulierungen hüllen, kommt manchmal nur sehr wenig Inhaltliches bei den Zuhörenden an – und noch viel weniger setzt sich nachhaltig in den Köpfen des Publikums fest. Doch anstatt verständliche Reden einzufordern, wird diese Unverständlichkeit oft verschwiegen, nicht selten aus sozialer Befürchtung, als ungebildet oder uninformiert zu gelten. Dabei können gerade Kunstlaudationes zielgruppengerecht und zuhörerfreundlich gestaltet werden!

Wie könnte das Reden über Kunst gelingen?

Eine Vernissage oder Finissage ist keine akademische Universitätsvorlesung, sondern eine kulturelle Veranstaltung mit interessiertem Laienpublikum (Kunst- und Kulturinteressierte, Freunde/Familie der Künstler*innen, Presse, kaum Kunstwissenschaftler*innen). Daraus folgt, dass die Zuhörer*innen des Kunstvortrags zwar interessiert an den künstlerischen Arbeiten sind, aber auch etwas über den/die Künstler*in erfahren wollen. Zudem wollen die Besucher*innen einer solchen Kulturveranstaltung einerseits intellektuell gereizt, aber oft auch zusätzlich gut unterhalten werden.

Dies kann nur gelingen, wenn der/die Laudator*in es sich zum obersten Ziel setzt, dass das Publikum die Aussagen des Textes tatsächlich verstehen und nachvollziehen soll. Essentiell dafür ist die Herausbildung eines roten Fadens im Redetext. Dies kann der Bezug zum Ausstellungstitel sein, eine sich durchziehende Motivik oder auch ein abstraktes Gefühl, das immer wiederkehrt. Hier haben Sie als Künstler*innen durch das vertrauensvolle, offene Gespräch mit dem/der Laudator*in die direkte Möglichkeit, auf den textuellen Inhalt Einfluss zu nehmen – sofern Sie das wünschen.

Dieser rote Faden wird in der Einführungsrede oft verknüpft mit interdisziplinären Bezügen auf Soziologie (z.B. zu Raum und Objekt), Literatur, Kulturgeschichte, Psychologie, Philosophie, Gender-Debatte oder auch Tanz. Dies hängt natürlich vom fachlichen Hintergrund des/der Laudator*in ab: Lassen Sie sich überraschen!
Um die Zuhörenden zu packen, muss der/die Laudator*in die Authentizität und Außergewöhnlichkeit Ihrer künstlerischen Arbeiten herausstellen. Der Text bietet so einen fast „pädagogischen“ Zugang, also erste Ansätze, auf deren Basis das Publikum in die Lage versetzt werden soll, sich in Ihre Gedankenwelt hineinzuversetzen. Mit Ihrer Gedankenwelt im Hinterkopf sollen die Besucher*innen angeregt werden, sich tiefergehend und intensiv mit Ihren ausgestellten Arbeiten zu beschäftigen.

Im besten Fall folgt die Laudatio klassischen Merkmalen einer schriftstellerischen Dramaturgie (umschließender Rahmen, sinnhafte Bezüge zum Ausstellungstitel, passende – gerne augenzwinkernde – Wortspiele, Sinnabschnitte etc.). Wichtig: Je abstrakter Ihre Kunst, umso verständlicher (nicht vereinfachender!) müssen die Texte sein, die die Ausstellung flankieren! Der/die Laudator*in sollte dafür möglichst auf Fachwörter und Phrasen verzichten, denn im Mittelpunkt der Rede stehen Sie und Ihre Arbeiten, nicht der/die Laudator*in und sein/ihr (passender oder unpassender) Umgang mit Fremdwörtern. Erst wenn die zu vermittelnden Informationen an das konkrete Publikum angepasst werden, kann Ihre künstlerische Gedankenwelt transportiert werden und „der Funke überspringen“.
Nicht jeder exzellente Redenschreiber ist auch ein fesselnder Vortragender.

Folgende Ziele sollte jedoch jede/r Laudator*in mit seinem mündlichen Vortrag verfolgen:
* Wie muss ich den Text betonen, wo Pausen machen, um einen dramaturgischen Effekt zu entwickeln und den Text möglichst verständlich dem Publikum zu vermitteln?
* Wie kann ich das Publikum berühren, um in ihm etwas zum Klingen bringen?
* Wie kann ich dem/der ausstellenden Künstler*in ein angemessen großes Podium lassen?
* Wie kann ich einen offenen Austausch des Publikums mit den ausgestellten Arbeiten – sowie mit Ihnen als ausstellendem/r Künstler*in – anregen?

Im besten Fall sollte die Rede nicht zuletzt „Herz haben“ und in der Lage sein, eine ganz eigene Atmosphäre zu kreieren, um einen möglichst großen geistigen oder emotionalen Gewinn für alle Beteiligten zu erhalten.

Nachhaltigkeit einer Laudatio

Während der Vortrag nach nur wenigen Minuten vorüber ist, besitzt die Laudatio dennoch eine besondere Nachhaltigkeit. Zum einen ist sie oft die Grundlage für die flankierenden, medialen Ausstellungsbesprechungen. Zum anderen können Sie den Text auszugsweise oder komplett zum Eigenmarketing benutzen, indem Sie ihn auf Ihrer Internetpräsenz öffentlich machen oder bei Katalogtexten zitieren o. ä. Setzen Sie sich aufgrund des Urheberrechts dafür jedoch immer im Vorhinein mit dem/der Laudator*in in Verbindung und fragen Sie um rechtliche Erlaubnis.
Und abschließend: Der differenzierte „Blick von außen“ bietet auch für Sie selbst die seltene – und wunderbare – Möglichkeit, das eigene Werk neu und aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Vielleicht werden gar spannende Fragen aufgeworfen oder bisher unerkannte Ebenen/Dimensionen/Bezüge aufgeworfen, von denen Sie wiederum in Ihrer künftigen Arbeit profitieren können!