Recherche von Magdalena Kallenberger: Künstlerische Forschung als verbindende Praxis
Eine generationenübergreifende Begegnung mit der Künstlerinnengruppe Erfurt (1984 – 1994)
Meine Herangehensweise in der künstlerische Forschung knüpft an aktuelle Diskurse im Bereich Artistic Research an, die die Verbindungen zwischen Epistemologie, Theorie und Praxis betonen. Diese Diskussionen schließen an den Practice Turn1 in den Sozialwissenschaften und aktuelle Plädoyers für einen Artistic Turn2 an. Mein Ansatz der künstlerischen Forschung stützt sich auf das Art-Based Research Paradigma und legt den Schwerpunkt auf reflexive, ästhetische, praxisbasierte und improvisatorische Methoden des Erkenntnisgewinns und der Wissenserschließung. Künstlerische Forschung ist für mich eine Praxis des Hinterfragens und Verbindungen schaffens zu anderen Kontext als eine posteriori critical activist exercise3. Für mich ist künstlerische Recherche ein methodisches Werkzeug, um die einzigartigen Qualitäten der Künste freizusetzen, die uns etwas über Verbindung, Empathie, Gefühl, Resonanz und Selbsterkenntnis lehren und damit über den Rahmen der bloßen, rational gefilterten Information hinausgehen. Dieses fließende Zusammenspiel von Tun/Machen, Aktivität, Aktion, Selbstreflexion und Denken – das verschiedene künstlerische Praktiken und Reflexionsmodi umfasst – kennzeichnet meine künstlerische Forschungsstrategie.
Im Rahmen meiner praxisbasierten Promotionsforschung an der Bauhaus-Universität Weimar habe ich 2018 das feministische Kunstkollektiv Maternal Fantasies mitgegründet. In meiner Dissertation dient Maternal Fantasies als Fallstudie, um zu analysieren, wie ein kollektiver Prozess kuratiert werden kann (im Sinne des lateinischen Wortstamms curare, d. h. „sich kümmern“), der die Entwicklung neuer Infrastrukturen, Werkzeuge und Methoden für die generationenübergreifende Kunstproduktion fördert, während zusätzlich Care-Arbeit und affektive Arbeit als Arbeit anerkannt und in den Produktionsprozess integriert werden. Ein Element meiner individuellen und kollektiven künstlerischen Arbeit ist die Entwicklung (m)eines Referenzrahmens, um dem (weißen, männlichen) klassischen westlichen (Kunst-)Kanon entgegenzuwirken. Mit MATERNAL FANTASIES haben wir unseren eigenen “cosmos of references” aufgebaut. Beispielsweise haben wir “speculative encounter” entwickelt und künstlerische Methode uns mit unseren selbstgewählten feministischen Vorfahren in persönliche Beziehung zu setzten.
Diesen Ansatz, einen generationenübergreifenden Dialog in Form einer imaginären Begegnung oder Gesprächs herzustellen, habe ich auf mein Forschungsprojekt über die Erfurter Künstlerinnengruppe übertragen. Die Künstlerinnengruppe Erfurt wurde 1984 von Erfurter Frauen um Gabriele Stötzer ins Leben gerufen und bot zehn Jahre lang einen radikalen künstlerischen Gegenentwurf zum Alltag in der DDR. In ihren Filmen, Fotografien, Modeobjekt-Shows und Manifesten verbanden sie Themen wie weibliche Selbstermächtigung, Kollektivität und Gesellschaftskritik – Konzepte, die bis heute von großer Relevanz sind.
Bei meiner Vorabrecherche für diesen Antrag nahm ich vielfältige Überschneidungen im Hinblick auf künstlerische Methoden und Praktiken, wie das Experimentieren mit künstlerischen Widerstandsformen und einer fantastischen Ästhetik im DIY-Style war, ebenso wie inhaltliche Themenüberschneidungen sowohl zu meiner individuellen als auch meiner kollektiven künstlerischen Arbeit wahr. Im Rahmen des Stipendiums, nahm ich Kontakt zu mehreren ehemaligen Mitgliedern der Künstlerinnengruppe auf, zu einer der Kuratorinnen der ersten umfassenden Einzelausstellung4 die 2021/22 im NGBK in Berlin stattfand und zu einer weiteren befreundeten Künstlerin und Zeitzeugin der Aktivitäten der Künstlerinnengruppe in jenen Jahren. Außerdem verbrachte ich einige Zeit damit, durch das heutige Erfurt zu laufen, nach Spuren zu suchen und die Atmosphäre der Stadt zu erkunden. Ich besuchte die Veranstaltung „Ostblock Riot Grrrlz – Frauen in der Subkultur des Realsozialismus“ im Kunsthaus Erfurt mit einer Multimedia-Präsentation von Alexander Pehlemann (Zonic/Leipzig), die eine kurze Rede von Gabriele Stötzer und eine spontane Live-Performance von ihr und Verena Kyselka, beide ehemalige Mitglieder der Künstlerinnengruppe Erfurt, beinhaltete. Darüber hinaus initiierte ich ein generationsübergreifendes Gespräch im Kunsthaus zwischen Gabriele Stötzer, Verena Kyselka, Monique Förster und mir, sowie weitere Einzelgespräche und einen Atelierbesuch bei Verena Kyselka.
Im Mittelpunkt meiner Recherche stand die Initiierung eine intergenerationellen Begegnung in Form eines gemeinsamen Gesprächs und Austauschs auf Augenhöhe über unsere künstlerischen Praktiken, Methoden, Werkzeuge, Strategien und gelebten Erfahrungen.
Vielen Dank an Gabriele Stötzer, Verena Kyselka und Monique Förster für Euere Bereitschaft, Eure Zeit und Euer Vertrauen, mit mir Eure Erfahrungen und Erlebnisse und Euer individuellen Sicht als Mitglieder der Künstlerinnengruppe in retrospekt zu teilen. Danke, Christin Müller, Dein Einblick in Euren kollektiven, kuratorische Prozess bei der Entwicklung der ersten umfassenden Einzelausstellung, war extrem informativ für mich. Danke, Ellen Louise Weiße, dass Du Deine persönlichen Erinnerungen an Deine Wahrnehmung der Künstlerinnengruppe in der DDR mit mir geteilt hast.
Der Text basiert auf Überlegungen von Magdalena Kallenberger im Rahmen ihres practice-based PhD Projektes an der Bauhaus Universität Weimar mit dem Arbeitstitel “Artistic Research as Connective Practice: Working in/with/off MATERNAL FANTASIES”. Der Text wurde ursprünglich auf Englisch verfasst und für die Veröffentlichung in diesem Rahmen von Magdalena Kallenberger ins Deutsche übertragen.
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1 Siehe u. a. Knorr Cetina, K., Schatzki, T. R., & von Savigny, E. (Eds.). (2000). The Practice Turn in Contemporary Theory (1st ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9780203977453
2 Siehe u.a. CoessensS, K., Crispin, D. and Douglas, A. 2009. The artistic turn: a manifesto. Leuven: Leuven University Press.
3 Rolling, J. H. (2013a). Arts-based research primer. New York, NY: Peter Lang.
4 Die Solo-Ausstellung „Hosen haben Röcke an. Künstlerinnengruppe Erfurt 1984 – 1994“ kuratiert von Susanne Altmann, Kata Krasznahorkai, Christin Müller, Franziska Schmidt und Sonia Voss, fand vom 27. November 2021 – 30. Januar 2022 in den Räumen des ngbk Berlin statt. Ein gleichnamiger Ausstellungskatalog erschien 2023 bei Hatjecantz.
Künstlerinnengruppe Erfurt am Kunsthof Lietzen, 1989
v.l.n.r.: Verena Kyselka, Ina Heyner, Gabriele Göbel, Tely Büchner, Gabriele Stötzer, Monika Andres; Archiv ExterraXX
Magdalena Kallenberger, Recherche, Künstlerinnengruppe Erfurt <–> Maternal Fantasies. An Intergenerational Encounter, 2024
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»Auf den Spuren Bildender Künstlerinnen« ist ein Kooperationsprojekt des Deutschen Künstlerbunds und des »Kunst-Mentoring«, einem Projekt des Kulturbüros Rheinland-Pfalz. Es wird finanziert durch das Ministerium für
Familie, Frauen, Kultur und Integration des Landes Rheinland-Pfalz sowie im Jahr 2024 in Kooperation mit der Stiftung Kunstfonds realisiert. Das Stipendium für Ani Schulze wird vom Arp-Museum Bahnhof Rolandseck finanziert. Im Jahr 2025 ist unter anderem die Ausstellung »Our Voices« sowie abschließend eine Online-Dokumentation geplant.
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