Für meine Recherchen begab ich mich auf die Spuren der Künstlerin Helga Götze. Helga, wie ich sie kollegial nennen möchte, setzte sich in ihrer Schaffensphase seit den frühen 1970er Jahren bis kurz vor ihrem Tod 2008 mit den sexuellen Neurosen der bürgerlichen Gesellschaft der BRD auseinander. Ihr Ziel war nicht in der Manier der 1968er Jahre die „Freie Liebe“, sondern die notwendige Neudefinition der Rolle der Frau und der Sexualität in unserer patriarchalen Gesellschaft. Spätestens seit Beginn der 1970er Jahre widmete sie sich einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Tabu (vor allem auch weiblicher) Sexualität durch sexuelle Praxis.
Bevor sich Helga der Kunst und dem Sex widmete, führte sie über dreißig Jahre eine Ehe, aus der sieben Kinder hervorgingen. 1968 hatte sie eine erste außereheliche sexuelle Erfahrung, die sie immer wieder als Ausgangspunkt ihres „zweiten Lebens“ erwähnte. Mit Mitte Vierzig machte sie es sich zum Vorsatz, ihre Sexualität frei auszuleben und entdeckt die Kunst und den Aktivismus für sich. Ihre Thesen manifestierte sie in über 3000 Gedichten, mehr als 300 gemalten Bildern, mehr als 150 Stickprojekten und ihren Auftritten in der Öffentlichkeit.
Unterschiedliche Medien dienten ihr entweder dazu, ihre Gedanken zu ordnen, oder sie wie Protestschilder und -botschaften auf ihren Körper zu bringen. Ihre Auftritte im öffentlichen Raum aber auch in der medialen Öffentlichkeit institutionalisierten sie als Künstlerin, Aktivistin und Person des öffentlichen Interesses.
Meine Annäherungen an ihre Arbeit erfolgten durch multiple methodische Ansätze, gerahmt durch die Idee der „Goetzinnensammlung“. Die „Goetzin“ als weniger bekannte feminine Version des „Goetzen” bezieht sich selbstverständlich auf ihren Namen aber auch den Begriff des Goetzen/Götzen. Dieser Begriff lässt sich als Synonym zu Gott, Abgott oder Dummkopf nutzen – Begriffe, die vielleicht Helgas heterogene Rezeption und Selbstverständnis abbilden können. Ausgehend von den Objekten und unterstützt durch die multimedialen Relikte (den von Helga geschriebenen Gedichten, Interviews, Korrespondenzen, Notizen, Fotografien und Videoaufnahmen) habe ich versucht, Helgas Thesen nachzuvollziehen. Dazu gehörte auch die Reproduktion eines ihrer Kleider, das Erstellen eines Glossars, eine Art Reenactment vor der von ihr zur Mahnwache beinahe täglich aufgesuchten Berliner Gedächtniskirche und das Sticken. Das Resultat meiner multimedialen Recherche mündete in einer Mappe der „Goetzinnensammlung“, die an die Ästhetik Helgas schriftlichen Nachlasses im Feministischen Archiv Berlin (FFBIZ) erinnert. Diese Mappe versucht, meine fragmentarischen Annäherungen in einen künstlerischen und logischen Zusammenhang zu bringen.